Kinonedelja

Über Kinonedelja

Die Wochenschau Kinonedelja (Filmwoche) entstand zwischen Mai 1918 und Juni 1919, insgesamt wurden 43 Ausgaben gedreht. Dziga Vertov stieß – als Textautor und Regisseur mehrerer Ausgaben – im Herbst 1918 dazu; es war seine erste Filmtätigkeit. Eine Ausgabe war durchschnittlich 180 Meter lang und enthielt 5 bis 6, gelegentlich auch 7 Sujets unterschiedlicher Thematik: kurze Reportagen von den Fronten des Bürgerkriegs, Informationen über Kundgebungen oder Filmporträts von Aktivisten und Funktionären. Die besten Kameramänner der Zeit arbeiteten bei der Wochenschau, darunter Aleksandr Lemberg, Aleksandr Levickij oder Eduard Tissé. Ihre Aufnahmen hat Vertov dann später, dem Konzept des Kinoglaz folgend, in seinen Langfilmen wiederverwendet.


1918 steht noch die geradlinige Aufzeichnung des Alltags im Bürgerkrieg und der politischen Manifestationen im Zentrum: Schon in der Nr. 1 treten Lenin und Trockij auf – und Pavel Dybenko, Held der Revolution, der sich wegen einer verlorenen Schlacht (gegen Deutschland) vor dem Revolutionstribunal verantworten muss. In den Kinonedelja-Ausgaben vom Jänner und Februar 1919 dokumentiert Vertov, wie der massive Schneefall alles Leben und auch die Rote Armee deutlich einschränkt; wie ein Front-Kommandant nach dem anderen zu Grabe getragen wird; oder wie die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht eine Protestaktion in Kiew auslöst: Die Demonstranten scheinen bereit, sofort in Deutschland einzufallen.
 

Kinonedelja Nr. 23
Die Überlieferungslage ist komplex. Wie der Filmwissenschaftler Aleksandr Derjabin schreibt, hat Dziga Vertov selbst einige seiner Kinonedeljas zerschnitten, als er im November 1918 seinen Film Godovščina revoljucii (Jahrestag der Revolution) machte. Obwohl Vertov dann von Vladimir Gardin (dem damaligen Leiter der Wochenschau) gezwungen wurde, die Ordnung wieder herzustellen, gelang dies nur zum Teil – einige Sujets waren unwiderruflich verloren und mussten mit anderem Material ersetzt werden. Derjabin weist nachdrücklich auf diesen schwierigen Umstand hin, und gibt auch weitere Quellen für Untersuchungen an – das RGALI und das RGAFKD in Moskau, aber auch Wien und Stockholm.

Das Österreichische Filmmuseum besitzt Kopien von 14 eindeutig identifizierbaren Ausgaben der Kinonedelja. 1973 wurde vom Filmmuseum ein Satz Positivkopien aus Schweden erworben. Die Quelle war das Schwedische Filminstitut, wo Anna-Lena Wibom 1967 die Wochenschauen im Depot des schwedischen Fernsehens gefunden hatte. Diese waren vermutlich schon im Jahr 1922 über die sowjetrussische Botschafterin Aleksandra Kollontai nach Norwegen gebracht worden. Die oft nur wenige Kader langen russischen Zwischentitel (so genannte "Springtitel") wurden im Jänner 1996 verlängert und in die Kopien (die in einigen Fällen norwegische Titel enthielten) eingefügt. Die erste öffentliche Wiener Vorführung fand in Anwesenheit von Anna-Lena Wibom im Jänner 1996 statt.

Zusätzlich finden sich in der Vertov-Sammlung des Filmmuseums weitere Materialien, zum Beispiel 52 Fotos von zum Großteil gut leserlichen Titellisten der Kinonedeljas. Einzelne Listen sind dabei in zweifacher Ausführung vorhanden: Einmal mit, einmal ohne Abdeckung einzelner "kritischer" Filmsujets wie beispielsweise der von Stalin verfolgten Politiker Lev Trockij, Lev Kamenev (einst russischer Botschafter in Wien) oder Grigorij Zinov'ev. Rosemarie Ziegler fotografierte in den 1970er Jahren auf ausdrücklichen Wunsch von Vertovs Witwe Elizaveta Svilova in der Moskauer Wohnung Svilovas jeweils beide Fassungen ab.

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Autograf "Kino-nedelja 5-go nojabrja 1918, Nr. 23"